Ihr werdet sagen, ich trage zu dick auf. Aber für mich ist es, als ob Gott, der das garantiert nicht oft tut, selbst singt. Das ist nicht Ed mit seiner aussergewöhnlichen Stimme. Der bewegt gleichsam nur die Lippen dazu. Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll. Vielleicht so: Wenn aus dem reinen Schmerz so etwas Schönes gelingen kann, dann ist doch Vieles gerechtfertigt.
Ich kenne auch nicht viele Versionen davon. Aber ich denke, die Fassung von „Live On Two Legs“ ist es. Das kommt fast aus der Stille, schwillt zweimal ganz mächtig an. In der Mitte ist eine Art Zäsur, wo es an einer Stelle so ruhig wird, dass man hören kann, wie im Publikum jedes Wort mitgesungen wird…. „Tatooed everyday“.
Die Schlussverse singt der Sänger gegen oder durch die Töne des beginnenden Gitarrensolos, Gitarrenspektakels hindurch, so dass sie fast nicht oder nur schwer zu verstehen sind. Am Ende geht die eine Gitarre über in so eine Art langen Heulton, bevor es gleichsam verebbt. Am Schluss des Gesangs spricht er sie an, die ihn wohl nicht hören kann. Die Gitarre versucht den Widerstand des Schmerzes darzustellen – ganz und garnicht perfekt, aber das muss so sein. Der Schluss ist als ob etwas vergeht.
Ich kann es nicht oft hören. Es klingt mir immer irgendwie stundenlang im Ohr nach, obwohl ich ehrlich gesagt keinen Ton davon nachsingen könnte. Diese Art der Schönheit ist kein bisschen sentimental oder rührselig. Aber trotzdem trifft einen das, ist das manchmal schwer zu ertragen. Ich rette mich dann in die „Vision einer Currywurst“. Denn das ist auch depressive Musik.
Warum trifft einen ein Song? – Warum interessiert einen ein Text? ....
Dann will ich mir den doch mal genauer angucken, jedenfalls den Text zu beschreiben versuchen. Ich denke es bleiben genug „Rätsel“ übrig. Denn das weiss ich, den kann man einfach nicht demontieren.
Nach dem, was ich bis jetzt verstanden habe, hat der Text noch nicht mal eine so globale Aussage, wie zum Beispiel „Even Flow“. Aber gucken wir erst mal. Meist wird man ja erst bei dem „Prozess“ fündig.
Ich finde es immer sehr schwer, die Texte vom Hören her zu verstehen – meine Englischkenntnisse reichen da einfach nicht aus. Was ich zuerst verstanden habe, war „bitter hand“. Ich glaube das nennt man Chiffre seit Ingeborg Bachmann. Allerdings möchte ich, wenn ich diese Hand oder Hände vor mir sehe, nicht das skrupulöse Gesicht von dieser Künstlerin vor mir sehen. Ich möchte kraftvolle Hände sehen. Vielleicht fliegt jemandem beim Surfen das Gerüst von so einem Text zu. Heute sind die Begriffe Werk und Autor eigentlich umstritten. Textgrenzen lösen sich auf. Vielfach wird nur noch nach dem Discours gefragt. Dieser Text – egal, wo man sich bedient hat, hat Vitalität.
Mit dem Text beschäftige ich mich schon länger, komme zur Zeit einfach nicht dazu. Das hat aber dazu geführt, dass ich den Anfang des Textes wieder mal sehr gut nachempfinden kann. Das weisse Blatt wird zur Bedrohung. Alles will zur selben Zeit raus. Erzählen kann man es schon erst recht niemand, weil es einfach nicht gelingt. Aber ich bin ja kein Künstler.
Fangen wir deshalb einfach in der Mitte an mit diesem „Outside“ nach dem ersten Abebben.
Die erste Strophe spielt also innen – in einem Haus oder einer Wohnung, die zweite draussen.
sheets of empty canvas,untouched sheets of clay
were spread out before me, as her body once did
Bedeutet etwa: Leinentücher, die leer waren und unberührte Stücke von Ton
Waren vor mir ausgebreitet, wie es einst ihr Körper war.
Hier fängt kein Ich an zu erzählen und stellt sich eitel und übermütig voran wie in Lightyears, Subjekt sind das Leinen und der Ton. Die Zeitform ist Past Tense Passiv. Hier entsteht so ein Effekt von Bedrohlichkeit. Sicherlich hat der Erzähler selbst diese Dinge einige Zeit vorher hingelegt, aber dann haben sie irgendwann mal Eigenleben bekommen, bedrohen sie ihn, der ihnen gegenübersitzt. Die Bedrohlichkeit liegt in dem leer und dem unberührt. Das ist das Milieu des Innenraumes, in dem er sitzt – oder sass. Wichtig: Es tauchen zwei Schichten der Vergangenheit schon in den ersten beiden Zeilen auf. Seit einem Zeitpunkt lagen diese Dinge da, deren Objekt er geworden zu sein schien, und dann gab es einen ganz anderen Zeitpunkt, ab dem er in dieser Befindlichkeit in dem Milieu sass. Und dann kann es ab dem Punkt schon oder noch so erscheinen, als ob das alles – so wie wir es alle von Prosa oder von Balladen her kennen – erzählte Gegenwart ist.
Das Ich sitzt irgendwo an seinem Schreibtisch und erinnert sich, verlebendigt Erinnerungen.
Das Wichtigste des Textes, die weibliche Person, um die es geht, wird in Form eines Vergleiches eingeführt:
„as her body once did“
Die Attribute des Tons und der Leinwand – zumindest im Sinne von “untouched” lassen sich auf die weibliche Person übertragen. Der Vergleich ist also teils stringent. Mit dem empty kommt allerdings ein etwas seltsamer Ton rein, wenn man überträgt. Leerer Körper? Aber ich glaube, das ist wiederum ein ganz wichtiges Mittel des Textes. Behalten wir es im Auge.
Das „once“ in dem Vergleich deutet schon gleichsam voraus, dass das Ich, das hier erzählt verlassen worden ist.
Die ersten beiden Zeilen sind schon äusserst vielschichtig. Ich erkläre mal, wie ich das verstehe – und begründe das. Der Text selbst führt ja das Motiv weiter durch.
Bleiben wir bei ihr: Dies Einführen der weiblichen Person als „Body“ evoziert auf der einen Ebene natürlich was von verwegenen erotischen Spielen – Sexualität.
Ton und Leinwand, mit der sie hier gleichgesetzt wird, sind die Attribute des Künstlers. Dabei klingt immer mit, dass Gott den Menschen aus Lehm gemacht hat. Damit ist schon die Schöpferideologie in dem Bild von Ton und Leinwand impliziert. Der Künstler als Schöpfer. Er arbeitet in Analogie zu Gott. Ein Diskurs, den es seit Nieztsches Zeiten gibt.
Die eine Aussage ist also: Kunstproduktion und Sexualtiät schöpfen aus derselben Quelle – unserer Triebe. Das wissen wir seit Freud. Schön, das hier wiederzufinden.
Ganz offensichtlich hat es an einem Punkt in dieser erzählten Vergangenheit ein Funktionieren dieser Lebens-Konstruktion gegeben. Da entstanden Bilder auf dieser Leinwand, wurden Zeichen in diese Tontafeln geritzt oder Plastiken geschaffen und es gab eine Liebe und Sexualität, die erfüllt war, schien. Eine beglückende Naivität. Aber ist das ich, das hier erzählt, ist in eine schöpferischen Krise gestürzt worden. Der Anfang ist sicherlich immer das Bedrückendste.
Deshalb heisst es empty und untouched.
Auf einer zweiten Ebene hat der Gebrauch von empty in Bezug auf Body und dann noch in Relation zu den Leinentüchern, mit denen der Text anfängt etwas von: Hier wird ein toter Körper in Leinen eingehüllt. Der Anspruch klingt an, dass dieser Schaffende den Körper dieser Frau erst beseelt durch seine schöpferische Kraft. Hört sich für uns vermessen an. Das Thema schwingt auch in den Zeilen mit:
and all i taught her was everything
I know she gave me all that she wore
Er ist der Lehrende, sie gab ihm alles was sie trug. Zuerst denkt man natürlich an die Kleidung, dann aber auch an ihre Sorgen und Nöte. Everything und all zeigt, dass es gegenseiteige vollständige Hingabe war. Aber dieses – Ich lehrte sie alles (was ich wusste, was ich bin, was ich mache), das ist schon eine ganz heftige Forderung, lässt einen stutzen. Das wirkt auf der einen Ebene so, als bestehe dieser Mann da auf seiner Überlegenheit – gegenüber einem an sich unbeseelten Wesen. Ich denke da an Weingarten, der die Frau um die Jahrhundertwende als vom Mann zu beseelendes Wesen zu zeigen versucht hat.
Aber in dem Text geht es nicht um die Ursache des Scheiterns der Beziehung. Es wird sogar garnicht klar, wer wen verlassen hat. Es geht auch nicht um Emanzipationsfragen. Vielleicht war die Dame viel jünger, so dass sich so etwas eingeschliffen hat, vielleicht war sie zu Anfang wirklich untouched. Das mag alles alles mitschwingen.
now the air i tasted and breathed, has taken a turn
und das ist parallel:
the love gone bad turn
(Turn erinnert an die Seglersprache in Tremor Christ)
sind die einzigen Erklärungen, die dies erzählende ich „bewusst“ abgibt. Die Liebe hat eine schlechte Wendung gemacht. Hier wird nicht herumgegrübelt, warum das so war. Das Ende der Beziehung ist klar und steht fest. Vielleicht heisst das: diese Art der Liebe ist nicht lebbar.
Meine Hypothese ist: Dieser Kerl, der hier fix und fertig vor seiner leeren Leinwand sitzt und nichts drauf bekommt ist durch und durch Künstler. Er hat sich dazu entschieden, entscheiden müssen, die ganze Welt als Steinbruch für seine Kunst zu benutzen, natürlich auch die Menschen, natürlich auch seine Liebe. Der kann garnicht anders. Deshalb erscheint ihm auch das vielleicht verwegene erotische Spiel als Schöpfungsakt. Muss man erst mal ertragen können. Aber da will ich nicht zu weit gehen. Die Liebe hat eine schlechte Wendung gemacht.
Natürlich ist auch das Leinerne und der Ton nur Metapher. Vielleicht bekommen wir noch mehr heraus, vielleicht entwickelt sich hier wieder jemand.
Auf jeden Fall ist das ich, wie es bis jetzt erscheint der Prototyp des modernen Künstlers.
Zur Illustration:
Ich tu das jetzt rein, mache morgen weiter.
Hajü
Gast