Chapeau! @mindcrime. Du bist ein Guter.
Deine Rückmeldung hat mir gutgetan – und Deine Interpretation hat mir Beine gemacht.
Danke also. Wenn das hier noch weitergeht, würde ich gerne wieder auf Dich hoffen dürfen. Das verzögert sich hier alles noch, und so will ich noch einen Nachtrag zu der Interpretation machen. Übrigens möchte ich hier nicht das letzte Wort haben.
1. Kein Wort und kein Teil sind überflüssig in so einem Text, - so geht man notgedrungen bei so einer Art der Interpretation heran. Hatte ich oben gesagt.
„as the earth to the sun” konnte ich allerdings erst nicht richtig einordnen. Ich habe das oben als so eine Art Verzierung gedeutet, mit der Parallelität zum ersten Vergleich hergestellt werden sollte und „Majestät“ der ersten Metapher betont werden sollte. Widerspricht dann meiner späteren Deutung als Konzept des „schönen Lebens“. Allerdings ist dieser Vergleich, der beim Vortrag nicht sehr betont wird, doch recht wichtig. Er stellt fest, dass es einen „echten“ Kosmos mit einer wirklichen Erde und Sonne gibt – und stellt dezidiert heraus, dass „all five horizones revolved around the sun“ ein Bild ist.
Wenn dann später im Song die Stelle „how quick the sun can drop away“ kommt, ist dieser Vergleich oben der Beweis dafür, dass diese Sonne nicht die Geliebte ist. Denn sonst würde er ihr Ende wünschen, hatte ich geschrieben. Ich hatte auch frei übersetzt, die Sonne herunterschlagen.
Mit diesem Vergleich und diesem Ausschlussverfahren werden also alle Gewalttätigkeit und aller Umschlag von Liebe in Hass negiert. („Kreuzersonate“). An so etwas denkt das Ich, der Spaziergänger also garnicht. Damit werden auch alle gewalttätigen Rezipienten ausgeschlossen, die den Partner mit sich herunterreissen möchten. Ich erkläre das noch. Das ist die Funktion des Erde/Sonne Vergleichs. Loslassen hiess es.
2. Was ich jetzt versuche, gelingt vielleicht nicht. Ich habe keine Lust zurzeit, meine Nase in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zu stecken. Oder in Nietzsche-Schriften. Vielleicht kann man das auch anders anfangen. Jedenfalls einen Teilaspekt des Problems erläutern.
Wie entfaltet so ein Song seine Wirkung. Sicherlich nicht durch die dürren Worte einer solchen Interpretation. Sicherlich kann man da auch Faszinierendes finden. Aber ich glaube nicht, dass viele Menschen sich gerne mit Problemen von „Avantgardelyrikern“ herumschlagen. Das ist eher abschreckend.
Meist versteht man ja noch nicht mal den Text – und so ein Song packt einen. Das ist natürlich die Musik, der Vortrag, die das transportieren. An der Stelle müsste ich einfügen, dass, wer sich in diese Songs einmal eingehört hat, einschliesslich der Texte natürlich, dem erscheinen viele Musikstücke, die vorher das Non Plus Ultra waren, plötzlich ziemlich schlicht und …eigentlich schlecht. Ein Nachteil dieser Musik? Die Messlatte liegt hoch.
Gehen wir mal von dem Punkt aus, ab dem wir den Text, den Inhalt verstehen – und dass uns das anrührt.
Dann setzt so eine Art Projektionsverfahren ein, in dem wir den Text mit unseren Erfahrungen und Fragen füllen. Das Gerippe wird mit Fleisch und Leben gefüllt. Verstehen.
Nur ein Beipiel: „all the pictures have all been washed in black” - nebenbei werden in bestimmten Trauerriten Bilder schwarz verhangen.
Aber dies kennt jeder: Wenn man traurig ist, oder wenn man trauert um den Verlust eines Lieben, wirkt sich das auf die Wahrnehmung aus. Oder auch andersherum. … Wenn wir glücklich sind. Die Aussenwelt widerpiegelt unsere Emotionen. Das genau Passende wird selektiert. Alles erscheint trist – oder fröhlich und harmonisch. Betrifft auch das sog. Sozialverhalten. Hier ist die Voraussetzung allerdings, dass die Welt im Kern absurd ist. Das enthüllt sich. (Ich glaube noch Freud geht doch letztlich davon aus – in seinen kulturpessimistischen Schriften zumindest wird das deutlich.)
Oder vom Thema des Songs her: Natürlich können wir uns alle vorstellen, wie das ist, zurückgewiesen zu werden, verlassen zu werden, wenn wir am stärksten in Flammen stehen. Die Leidenschaft wird möglicherweise umso grösser. Es ist ein ganzes Spektrum an Reaktionen und Handlungen denkbar. Mit diesen – teils unterschiedlichen Erfahrungen klinken wir uns in so einen Text, Lied ein.
Der Spaziergänger – mit dem wir vielleicht kurz gehofft hatten – wird aber so zum Objekt unseres Mitleides. Das ist ein Aspekt des Schopenhauerschen Mitleid-Begriffs. Es handelt sich dabei also eher um einen Erkenntnisvorgang, der etwas Hermeneutisches hat. Er hat auch Gemeinsamkeiten mit Identifikation.
Dies Mitleid hat nichts damit zu tun, dass reiche Witwen oder Frauen von Pfeffersäcken Strümpfe für die Armen stricken. Obwohl der Pietismus beides hervorgebracht haben wird.
Es hat nichts zu tun mit einer bestimmten Art von Entwicklungshilfe, die die armen Länder noch weiter in die Unselbständigkeit stürzt, damit man weiter die billigen Rohstoffe bekommen kann. Es geht nicht um das Verbrähmen eigener Interessen. Man sieht auch, wie unselbständig ein Behinderter wirklich ist, wieviel Hilfe er wirklich braucht. Das ist die Fragestellung jedenfalls. Dann bekommt er Unterstützung und wird nicht noch gedemütigt. Aus dem Sumpf muss man das Wort erst mal herausziehen. Mitleid überwindet auch die Fremdheit.
Es hat auch nichts mit diesem Betroffenheitsphänomen zu tun, das in der ökologisch pazifistischen Scene grassierte. Findet sich heute verstärkt in diesen Life-Style Magazinen wieder.
Es ist ein (monistischer) Erkenntnisvorgang in der Form, Einblick zu haben in die Vorgänge im Inneren von Mitmenschen. Eine Art Anteilnahme.
Diese Anteilnahme könnte Handeln erschweren. Die Naivität fehlt, ist verloren gegangen. Andererseits wird Handeln bewusster, bezieht die Konsequenzen mit ein. Ein Weg zur Verantwortung.
Die beste Erklärung, Demonstration des Erlösungskonzeptes durch Mitleid liefert der „Parzifal“ von Wagner. Hatte ich glaube ich schon erwähnt. Nietzsche hat sich über diese Art der heiligen Messe, die Nationaltheater werden sollte, gespottet. Der erste Akt zeigt, was der reine Tor ist, der zweite erklärt – führt das Erkennen, Wissend werden durch Mitleid vor. Hier wird schon Kundri erlöst. Fetzig wie Rockmusik – teilweise. „Nein, lass ihn unenthüllt“ so begint eines der für mich bessten Musikstücke überhaupt, das obendrein die ganze Oper in sich widerpiegelt.
Ich hatte darauf hingewiesen, dass bei Pearl Jam Erlösung eine Rolle spielt. Zumindest in einigen der Songs. Auch der Mitleidsbegriff wird zu finden sein. Mercy heisst es in „Crazy Mary“.
Also – ich gehe davon aus, dass es nicht nur dieses Projekt gibt, der Welt durch Kunst den Sinn zurückgeben, sondern im engeren Sinne liegt auch so ein Erlösungskonzept vor. Ich habe oben gesagt, dass der Spaziergänger in „Black“ unser Mitleid im Sinne Schopenhauers anspricht.Das Leiden des Spaziergängers soll uns nicht betroffen machen. Aber wir können schon unsere Fragen und Erfahrungen darin unterbringen. Dann lebt der Text für uns. Hier gibt es auch die vielen Deutungsmöglichkeiten, von denen ihr gesprochen habt. Allerdings die Grenze liegt bei den Gewalttätigen, die ihrer Liebe schaden wollen. Die sind hier nicht zugelassen.
Schauen wir lieber nach anderen Texten – in 14 Tagen. So geht es wohl doch nicht.
4. Wenn die über ihrem Milieu schwebende Mary eine Art Kreuzesdarstellung ist, dann stellt „Given To Fly“ in seinem zweiten Teil die Kreuzigung dar.
Der Surfer auf dem Meer in Tremor Christ und auch der Spaziergänger haben auch etwas von diesen „Ecce Homo“ Darstellungen. Dies „Ecce Homo“ zeigt sich am deutlichsten in der distanzierten Darstellung von „Given To Fly“.
Ich hatte gesagt, dass das nicht blasphemisch gemeint sei. Es könnte aber sein, dass dies das herkömmliche Kreuz dagegen in bestimmten Kontexten ist.
Sozialkritik ist überhaupt nicht ausgeschlossen – Vergl. „Crazy Mary“.
Noch mals Danke @mindcrime
Zerpflückt das ruhig – das ist „halbgar“.
Allerdings das halte ich für wichtig: Die ihrer Liebe Schaden wollen, die sind ausgeschlossen in „Black“.
So long
H.
Gast