vaf | vitalogy.de and fans [pearl-jam.de]


Black

Offline Mindcrime

  • Moderator
  • vaf | (in)Habit(ant)
  • *****
    • Beiträge: 5.862
    • Geschlecht:Männlich
  • Too old to rock, too stoned to stop!
Antwort #30 am: 16. März 2004 um 20:27
Ich muß an dieser Stelle mal einhaken, das wird mir sonst zuviel, da fehlt mir die Zeit. Okay?!  :-\

Vorab: Halten wir uns an den Text, den du (Hajü) gepostet hast, obwohl er einige anderslautende Passagen enthält, verglichen mit dem von Mookie.

Erstmal Respekt, wie tief du dich da mal wieder in den Text "eingegraben" hast! Leider habe ich momentan nicht die nötige Ruhe, um mich ebenso intensiv mit deiner Interpretation zu beschäftigen.

Hier meine bisherigen Gedanken dazu (hoffentlich nicht allzu verworren):

Gut ausgedrückt hast du "wenn aus dem reinen Schmerz so etwas Schönes gelingen kann, dann ist doch Vieles gerechtfertigt". Stimmt! In diesem Fall, daß die Liebe weiterlebt, der Glaube an die Geliebte (oder den Geliebten) nicht erschüttert ist (was uns die beiden letzten Zeilen von "Black" verraten). Toll fand ich auch, daß du herausgearbeitet hast, wieviel Vitalität letztlich dadurch ausgedrückt wird. Und auch Hoffnung, oder?! Darauf komme ich aber gleich nochmal zurück...

Aber (und jetzt fängt es an, spannend zu werden), IMO versteifst du dich dabei zu sehr auf die Schiene mit dem Künstler (Blockade etc.pp.). Das Bild des Künstlers ist für mich "lediglich" ein Sinnbild: Der Künstler und seine Muse als Sinnbild für den Menschen und seine Liebe! Ich versuche das zu erklären:

Eine Liebe hat zu Anfang etwas Reines ("empty canvas", "untouched"). Der Lehm ist Bildnis dafür, etwas zu formen. Eine Liebesbeziehung bedarf auch einer ständigen "Verformung", um lebendig (!!!) zu bleiben. Alle Sinne (die "Five Horizons") drehen ("revolved") sich nur um das Eine, nämlich die Sonne (also die geliebte Frau oder den geliebten Mann). Schmetterlinge im Bauch, Glücksgefühle und all das. Man atmet und schmeckt gleichsam gemeinsam dieselbe Luft, weil man ständig zusammen sein will. Auch "all I taught her was everything I know" und "she gave me all that she wore" stehen für bedingungslose Liebe/Hingabe.

Doch dann ändern sich die Dinge ("turn"): Hände werden wund (dieselben, die vorher noch gestreichelt wurden?), Bilder schwarz (denke auch an "Mir wird schwarz vor Augen"), weil das Ein und Alles nicht mehr da ist. Der Erzähler bewegt sich unter den Wolken (bedenke mal, was das im Gegensatz zur berühmten "Wolke 7" aussagt!?). Wie eine Tätowierung muß man jeden Tag mit diesem Zustand (und auch in diesem Zustand, den wir Schmerz nennen) leben.

Dann der Spaziergang (den du etwas vernachlässigst...  ;)): Kinder (etwas ebenfalls Reines und Unschuldiges!) spielen und lachen. Zeichen der Hoffnung keimen, denn dem Erzähler wird klar: Warum lasse ich mich so abstumpfen ("to sear") und malträtiere mein Hirn mit verworrenen Gedanken? Ich spinne wohl! Er singt davon, wie schnell die Sonne sinken kann.

Dann gleichsam nochmals die dazu (also zur neuen Hoffnung) im Kontrast stehende Erinnerung an "bitter hands", "black", "tatooed everyday" oder "love gone bad". Alles was ich sehe, was ich bin, was ich will, ist schwarz tätowiert. Mir kommt es fast so vor, als wolle er seinen ganzen Schmerz noch einmal herausschreien (wegschreien?).

Am Ende des Songs die Hoffnung und für mich eine der eindrucksvollsten Hymnen auf die Kraft und Vitalität (!) der Liebe: Eines Tages wirst du im Horizont ("sky") von jemand anderem ein "Star" sein. Du wirst deine Liebe finden! Und auch wenn die Frage bleibt, warum nicht bei mir, ist das ein absolut tröstender und hoffnungsvoller Gedanke für den Erzähler und besonders für sein eigenes Leben und seine eigene Zukunft/Liebe!

Ich glaube im übrigen auch, daß hier die Frau den Mann verlassen hat (vielleicht aber auch nur, weil ich selbst einer bin...  ;D) und daß sie sich (sehr guter Gedanke von dir!) "zu Tode" geliebt gefühlt hat und eine solche Liebe wahrscheinlich nicht (jedenfalls nicht über einen langen Zeitraum) lebbar ist. Wäre interessant, diesen Aspekt mal weiterzuverfolgen!? Denn färbt da nicht vielmehr der Anfang schon das Ende?  ;)

Und ich fände es auch gut, wenn du deine Kreisbewegungen weiter vertiefst, auch das ein sehr interessanter Ansatz!

Für mich persönlich ist "Black" ein sehr schönes Liebeslied (keine Ballade!), das seine Hoffnung auf einen Neuanfang aus dem Schmerz des Verlustes schöpft! Denn, das frage ich dich, wo im Text wird denn behauptet, daß es nicht weitergeht?

Ein letzter Satz noch zur Begrenztheit des Horizonts: Auch Liebende vergessen über ihrer Liebe oftmals ihre Umwelt. Sie begrenzen sich sozusagen auf sich selbst.
vaf-Tipp-Meister 2004, 2016 / Sieger vaf-Kicktippliga 2005, 2006 / ConfedCup-Sieger 2005 / vaf-Pokalsieger 2012



Hajü

  • Gast
Antwort #31 am: 17. März 2004 um 02:44
Ja, begucken wir uns das durch das Motiv Kreisbewegung Verbundene.

Natürlich ist mit der Sonne in der ersten grossen Metapher sie gemeint. Es gibt auch eine Textvariante, in der „her Soul“ statt Sol gebraucht wird. Das „reimt“ sich natürlich wesentlich schlechter auf die letzten beiden Zeilen des Textes. Genau wie Du @mindcrime sagst, drehen sich alle 5 Sinne nur um das Eine, den geliebten (neuen?) Partner. Aber gleichwohl geht das hier viel weiter. Hoffnung auf eine neue Liebe kann ich für diesen Sprecher hier nicht entdecken.

Aber gucken wir uns mal an, was das ich des Textes auf dem Spaziergang erlebt, gucken wir uns mal den Refrain an, schauen wir mal, wie der Spaziergänger leidet.

Erst mal der erste  Refrain:

and now my bitter hand chafe beneathe the clouds
of what was everything, all the pictures have all been washed in black
tattooed everyday

Es gibt übrigens eine Textvariante, in der der erste Refrain mit einem Fragezeichen endet. Das stützt meine Behauptung, dass das Ich im Glauben, die schlimmste Trauer hinter sich zu haben, rausgeht. Allerdings ist dies Fragzeichen unnötig. Einen Refrain können wir alle identifizieren. Er macht das Experiment, ob die Trauerarbeit Erfolg hatte, vielleicht sogar beendet ist.

Der erste Refrain folgt unmittelbar auf die Darstellung, Erinnerung des gemeinsamen Lebens, (der Liebe mit gegenseitiger Hingabe) usw. Mittel des Kontrastes.

„bitter hand“ oder „bitter hands“ – sehe ich als Metapher, Chiffre für Loslassen. Hier hat jemand seine Liebe, den anderen losgelassen. Er kann den Partner nicht mehr greifen. Loslassen müssen Eltern ihre Kinder, damit sie flügge werden können, was manchmal auch sehr wehtut. Manchmal möchte man die Zeit anhalten oder zurückdrehen können. Jetzt ist aber neben dieser Chiffre nicht von dem Partner, der Liebe, die man nicht halten kann, die Rede, sondern von Wolken, von etwas, aus dem alles gewesen ist. Die Welt selbst hat sich verflüchtigt.

Das Bild bedeutet: Die Hand schleift neben einer völlig atomisierten Realität. Alles ist zu Staub zerfallen, die ganze Welt ist ein Nichts geworden. Und damit auch das Ich selbst.

Dann wird noch ein zweiter Aspekt drauf gesetzt: all the pictures have all been washed in black tattooed everyday. Verstehe ich so: Hier ist die Wahrnehmung gemeint – mit Hilfe der 5 erwähnten Sinnesorgane, der Horizonte. Dazu kommt aber noch ein Subjekt, ein Ich, das sich ein Abbild der Realität gestaltet, die koordinierende Instanz. Zu dieser gehören auch die Gefühle und Affekte, das Innenleben. Positivistisch orientierte Weltanschauungen gehen gerne von einer strikten Trennung von Subjekt und Objekt bei der Wahrnehmung aus. Intersubjektive Überprüfbarkeit von Wissenschaftergebnissen.

Diese Trennung gibt es in dem Satz nicht mehr. Es existiert keine Grenzlinie mehr zwischen Innen und aussen. Keinen Schutz. Das bedeutet auch dieses „tatooed“. Die Realität schneidet sich jeden Tag wieder neu schmerzhaft in die Haut ein. Die Weltsicht ist monistisch geworden. Oder war es immer schon. Diese Art der Lyrik ist anfällig dafür.
Beispiele dafür kann man im Impressionismus finden. Oder – die Psychoanalyse ist eine monistische Methode. Das Ich des Analytikers soll der reine Spiegel sein können. In der Lehranalyse muss er sich von seinen Konflikten und Neurosen befreien, damit dies möglich ist. Ernst Mach ist ein wichtiger Wissenschaftstheoretiker dieses Ansatzes. War Freud wohl bekannt.

Aber – was ist der reine Spiegel der Realität?  Ist sie nicht so, wie der hier Leidende sie sieht? Ist die Welt nicht im Grunde der Abgrund des Absurden? Ist nicht das Leiden an der Welt, das durch den Verlust der Liebe hier ausgelöst wurde, begründet – eben in der Unvollkommenheit von Mensch und Welt? Wirkt nicht deshalb schon diese eine Lösung des Problems in einer Art künstlerischer Liebes- und Erotikreligion, wie sie das erste Sonnnen-/Planetenbild vorführt fragil? Revolved heisst es da. Eine schöne Realiät – aber naiv. Eine schöne Illusion.

Hier soll in dem Bild mit den Bildern und dem „tatooed“ nicht nur gezeigt werden, dass das Ich dünnhäutig geworden ist – die Welt, die Realität selbst wird durch keine Instanz gehindert durch die Affekte, durch das Leiden des Wahrnehmenden eingefärbt. Das wird in dem Paradoxon „washed in black“ vorgeführt. Und „everyday“

Der Spaziergang

Durch das Fragezeichen (in der einen Textvariante) erscheint das obige als Hypothese, die das Ich auf einem Spaziergang überprüfen, bzw. falsifizieren will. „so what do I sear“ ist eine ganz trotzige Formel. Der Spaziergänger verhärtet sich gegenüber den Sinneseindrücken – heiter, unschuldig, die sich ihm förmlich aufdrängen. Er hält an seiner Version der Realität fest, oder das Heitere, Unschuldige der spielenden Kinder stösst ihn noch tiefer in sein Leiden. Aber es ist ganz klar ein Akzent davon vorhanden, dass er sich verweigert. Er will es nicht anders.

and twisted thoughts that spin round my head
I´m spinning I´m spinning how quick the sun can drop away

Ähnlich wie die Kinder ihn umgeben, ähnlich wie die Planeten die Sonne umkreisen umkreisen hier verzwickte, krumme Gedanken seinen Kopf. Das sind seine Planeten.

Jetzt kommt die Zeile, die die reine Todessehnsucht ausdrückt. Er wünscht das Tagesende herbei. Sonnenuntergang. Er wünscht festzustellen, wie schnell  die Sonne  herabtropfen, wegtropfen kann. Oder gar weggehauen werden kann. Einerseits wünscht er die Nacht herbei, wo ihn die reinen, unschuldigen Kinder und ihr Lachen, Gelächter nicht mehr nerven können. Andererseits wünscht er das Ende der Welt herbei, nach dem hier weiter oben Gesagten wünscht er sein eigenes Ende. Diese Sonne hier ist nicht Symbol für die Seele der Geliebten. Ansonsten würde er ihr Ende wünschen.

Dieser hier ist nicht wahnsinnig – wie Crazy Mary. Übrigens gibt es eine interessante, auch das hier Gemeinte illustrierende Textvariante.

Terrible thoughts, newspaper - covered walls, and Mary rising above it all

Man kann sich die Verrückte vorstellen, wie vor ihrem Ende sie in ihrem rundherum mit Zeitungen tapezierten Gelass völlig wehrlos diesen Schlagzeilen ausgesetzt ist, dem Chaos der Welt. Keine Instanz in ihr kann das einordnen. Terrible thougts, grauenhafter Wahn ist die


Hajü

  • Gast
Antwort #32 am: 17. März 2004 um 02:45
Reaktion auf die Verrücktheit der Welt. Sie bekommt die Leiden der Welt aufgebürdet. Diese Textvariante ist an sich aber viel weniger verständlich als die von uns untersuchte, interpretierte. Das naturalistische Milieu ist zu sehr reduziert. Man muss schon die von uns verwendete Fassung daneben halten.

Dieser Spaziergänger ist allerdings nicht wehrlos. Er beobachtet sich kritisch bei seinen eigenen Reaktionen. Sein Ich ist im Grunde intakt: Hier steht: twisted thoughts, I`m spinning… Das Ich, der Spaziergänger ordnet seine Reaktionen und Gedanken, mag er sich derer auch nicht erwehren können, kritisch und bewertend ein. Er weiss, dass er die Sonne nicht vom Himmel schlagen kann. Hier wird Todessehnsucht ausgedrückt. Allerdings wird er dem nicht nachgeben. Die Lösung ist eine andere.

Folgt der zweite Refrain, der jetzt ohne jegliches Fragezeichen gebracht wird.
Hiermit beginnt die Strophe. Hier heisst es allerdings:  and now my bitter hands lay on broken glass of what was everything, usw.

Ich deute das als Scherbenhaufen der Realität. Lay ist weniger heftig als chafe beneath. Hat etwas von: Das Ich hier akzeptiert den Zustand des Verlustes, der Trauer, des Loslassens, des Ende der Welt, des Endes aller seiner Illusionen. Chafe beneath hat noch etwas von vergeblich greifen wollen, allerdings ohnmächtig dazu zu sein. Im Lay ruhen die Hände gleichsam auf den Scherben der Existenz.

Dieser Refrain hat die Funktion des Festschreibens. Es ist so.
Das Ende dieser Strophe ist interessant und packend. „the love gone bad turn my world to black tatooed all I see, all that i am, all I'll ever be...yeah.... In dieses atemlose Gestammel, das im Lied allerdings, muss ich einschränken, doch recht getragen wirkt, mündet hier der zweite Refrain. Für mich ist hier in der Mimik der Rede selbst abgebildet, wie der Planet, der das Zentrum verloren hatte, um das er kreiste, schlingernd in Spiralbewegungen davondriftet. Der Rhythmus und somit dieses Wegdriften wird auch in den letzten beiden Zeilen beibehalten. Hier wird der Vortrag selbst atemlos.
Vergessen wir über der Abbildung des Wegdriftens nicht, dass das Ich für sich im Augenblick dieses Sprechens wenigstens feststellt, „all I´ll ever be“. Oben war gesagt worden, dass hier zeitdeckend gesprochen, erzählt wird. Die Äusserung hat höchste Wahrhaftigkeit. Die Häufung von Ich in dieser Konstruktion deutet an, dass ein seiner selbst durchaus bewusstes Ich spricht. Es beobachtet sich und die Welt ohne Illusion.
Und jetzt kommt das, was den Song eigentlich zum Liebeslied macht: Von seinem ins Nichts stürzenden Planeten aus spricht das Ich:

I know someday you'll have a beautifull life I know you'll be a star
in somebody elses sky but why why why can't it be, can't it be mine

Am Schluss schreit es vor Schmerz. Allerdings wird hier im Grunde nur das durchgeführt, was in der Chiffre „bitter hands“ schon vorausgedeutet war. Das Ich lässt endgültig los. Die eigentliche Liebe kommt. Sie ist völlig altruistisch: Er wünscht seiner Freundin, dass es ihr gelingt, nein, er ist sicher, dass es so sein wird, dass sie ein schönes Leben führen, es sich gestalten wird. Dazu braucht es die Partnerschaft, in der jeder der beiden der Stern des anderen ist. Damit wird eine Enclave geschaffen, die angesichts der Absurdität des Alls, der Welt, die das Ich hier erfahren hat, die Illusion von Sinn erzeugt. Das Programm des Schönen Lebens.

Für sich selbst wählt das Ich somit – so what – die Askese, die Verneinung des Willens. Bei Schopenhauer die einzige Möglichkeit für den Wissenden, erlöst zu werden. Der Schrei deutet an, dass es mächtig wehtut. Und der Wunsch nach ihr als der Einzigen – dieser Mythos bleibt. Mit ihrem Verlust begräbt er seinen Traum vom Glück. Auch den Traum vom schönen Leben für sich. Aber das alles muss „verneint“ werden.

@mindcrime, ich glaube, Du hattest schon verstanden, worauf ich hinaus wollte. Habe auch eigentlich zurzeit wenig Gelegenheit, dran zu bleiben. Ich hoffe, ich habe mich wieder „ausgegraben“ aus dem Gedicht. Ich werde das mal noch mal zusammenfassen. Vielleicht könnte man das Ganze auch mal kürzen und Unklarheiten zu beseitigen versuchen. Allerdings den Künstler, das Künstlerdrama muss ich noch wieder „ankleben“. Ich glaube, das, der gehört doch unbedingt dazu. Vielleicht habe ich den Aspekt Bedrückung durch Ton und Leinen zu sehr hervorgehoben.

Am Schluss jedenfalls ist der Spaziergänger der wahre Liebende. Liebeslied. Hier spricht er sie auch zum ersten mal an. „You“

Ich glaube, ich möchte auch noch zwei Beispiele für Schmerz durch Liebe und Macht der Liebe  anfügen, damit das etwas mehr „Fleisch“ bekommt.


H.

Gast



Hajü

  • Gast
Antwort #33 am: 18. März 2004 um 01:58
Wie klebt man den Künstler, die Tragödie des modernen Künstlers, meinen ersten Teil wieder an die vorige Interpretation an?

Nehmen wir mal Shining und seinen durch das böse Haus, Hotel verrückt wie ein Stück Brot werdenden Künstler raus. Vielleicht ist das Ich des Anfangs des Textes garnicht so blockiert, so schreibgehemmt. Verrückt ist dieses Ich ohnehin nicht. (Vielleicht gibt es etwas Neurotisches? Aber das passt wohl gerade, ist repräsentant, repräsentanzfähig)

Durch Leiden hat der Künstler hier die Welt als Abgrund des Absurden erfahren. „My bitter hands lay on broken glas of what was everything“

Das ist auch der Steinbruch, aus dem auch Kunst produziert wird, um dem Leben, der Welt selbst den Sinn zurückzugeben. Das bedingt, dass man sich nur noch umzugucken braucht. Die Stoffe, diese Realitätssplitter liegen auf der Strasse, stehen in Zeitungen. Davon sind wir jederzeit umgeben. Alltägliches, alltäglich Absurdes:

Ein Junge, der in der Schule rumballert, eine alte Frau hinter Gardinen, eine Frau, die behauptet, sie hätte den besten, besseren Mann, eine Verrückte in einer Kleinstadt, ein schwadronierender Ami (Evolution). Oder einer surft auf dem Meer herum und hat seltsame Gedanken (Tremor Christ), ein Sterbender mit einem Loch im Kopf – oder das Leiden eines Mannes, der gerade seine Beziehungskiste beendet hat.  Usw. usw.

Das ist „broken Glas“, atomisierte – aus einem Gesamtzusammenhang herausgefallene, zerfallene Realität.

Was machen die, der draus? Hochgradig artistische Gebilde, die ich nicht anders als Kunst bezeichnen kann. Jedes ein Gesamtkunstwerk mit Garagensound-Understatement.
Dieses Kunstprojekt bedeutet nicht, eine gemütliche, jugendstilhafte Enclave zu schaffen, in die man sich zurückziehen kann, der Welt selbst muss, soll durch Kunst wieder ein Sinn zurückgegeben werden. Das ist das Programm des ehrgeizigen und klugen Dichters dieser Songs. Eigentlich auch anachronistisch, traditionell humanistisch und ein kleines bisschen überholt. Wer will schon Kunst? Man muss sie regelrecht verstecken. Aber Amerika, die immer mehr sich globalisierende Welt, da muss was passieren. Schon mindestens seit der Zeit, als diese hier geboren wurden. Dies Flanellhemd passt schon doch irgendwie noch – inzwischen wieder besser denn je. Aber Erlösung ist ein altes Wort, ein alter Begriff.

Na ja, so ganz rein und abstrakt ist dieser Ansatz auch wieder nicht. An einigen Stellen liefern die sogar Lebenshilfe, wollen die scheinbar was bewirken, konkret was verändern.

Vielleicht muss man sich dem persönlichen Glück ein bisschen verweigern, um dafür die Antennen zu behalten. Oder die Anforderungen des eigenen Ehrgeizes, der Musikbranche, des Marktes in einer Unterhaltungsbranche, die Anforderungen der Fans sind so gigantisch, dass es gar kein persönliches Glück mehr geben darf, kann.
Oder es ist doch einfach ein altes Erlebnis, das die Augen öffnete. Dann hätte der Song einen autobiographischen Kern.
Das Programm der Gruppe Pearl Jam wäre also in einem Teil des Songs „Black“ zu finden, wenn wir annehmen, das dieser am Schluss den Willen verneinende Spaziergänger nicht zum Philosophen a la Schopenhauer, sondern zum Künstler wird.

Black verneint nicht die Liebe. Die Macht der Liebe ist es, die dies ganze Leiden anrichtet. Der Wegdriftende der Schlusszeilen liebt altruistisch. Allerdings wünscht er seiner Freundin, dass der Traum, Mythos vom Einen, der zu ihr passt, in Erfüllung geht. Also wird auch das nicht verneint. Nur es ist das Zusammensein mit Schwierigkeiten verbunden. Dies Sprechen von Herz zu Herz über alle Distanzen hinweg funktioniert nicht – immer. @mindcrime, Du sprichst von einer Liebe des Anfangs mit hoher Verliebtheit, der dann  schon die Schwierigkeiten, Konflikte folgen werden. Oder wenn man es falsch anfängt .. Oder wenn man nicht dran arbeitet … ähnlich wie man Ton bearbeitet, gestaltet. Die Menschen sind eben unvollkommene sogar an das Empfinden von Glück auf Dauer schlecht angepasste Wesen. Sie brauchen da den Wechsel, den Kontrast.
Vielleicht auch Zoff und Unglück, um Glück stärker empfinden zu können. Nach der Phase der ersten Verliebtheit werden die Unterschiede deutlich. Die müssen mit eingearbeitet werden. Das Paar steht ja auch im sozialen Kontext, vielleicht sogar in verschiedenen beruflichen u. gesellschaftlichen Umfeldern. Alles regiert mit rein in die Partnerschaft.

Wird alles vom Song nicht verneint. Nur dieser eine Held des Liedes verneint es für sich, weil er die eine und einzige verloren hat, von der er sicher ist, dass sie es war, die zu ihm gehörte. Der Mythos der Liebeslyrik, die sogenannte grosse Liebe, zu der Einzigen, hier die ohnmächtige Sehnsucht nach ihr, bleibt also. Aber diese Einzige ist in Black verloren, für immer ungreifbar. Deshalb ist auch nicht gemeint „Eine Liebe hat zu Anfang etwas Reines …“ . Hört sich viel zu austauschbar an. Hier geht es um die Eine, @mindcrime!  ;D. Vielleicht ist das immer Fiktion, Mythos, aber dieser hier gibt sich mit nichts Geringerem zufrieden.

Aber im Altruismus bei allerhöchstem Leiden entsteht etwas ganz Humanes. Da werden wir unvollkommene Menschen wieder gerechtfertigt. Auch zu so etwas sind wir schlecht angepasste, (instinktunsichere) Wesen also fähig. Da bekommen wir Sinn. Der hier den Willen Verneinende, Verzichtende bekommt seine Erlösung.
H.
Gast


Hajü

  • Gast
Antwort #34 am: 18. März 2004 um 02:08
Hallo :D

Ich glaube, ich bin fast durch

H.

Gast


Hajü

  • Gast
Antwort #35 am: 18. März 2004 um 03:29
Hallo

Black zeigt also im Grunde die Geburtsstunde dieses Künstlers

H.

Gast


Hajü

  • Gast
Antwort #36 am: 18. März 2004 um 11:58
So dies noch bevor ich mir erst mal 14 Tage Sendepause verordnen muss: Dann möchte ich gerne, dass mir jemand hilft, den ersten Teil etwas zu straffen. So wie es jetzt dasteht bin ich garnicht zufrieden.  Es muss doch hier Leute mit übergeordneten Rechten geben?  ;)

Vitalität sehe ich darin, dass jemand sich so eine Last aufbürdet mit so einem Kunstprojekt  z. B. - und dabei noch vergleichsweise "anmutig" (hiess das alte Wort) bleibt. Ich denke auch, das das einfach Typen sind, denen das durch die Haut einfach so zuströmt, zufliegt. Sie sind zufällig zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.

mit freundlichen Grüssen

H.

Gast


Hajü

  • Gast
Antwort #37 am: 19. März 2004 um 02:04
Nur noch dies. (vor den 14 Tagen):

Den Erlösungsgedanken haben wir nur gestreift. Dies hier gehört zur Crazy Mary Interpretation. Habe ich oben zitiert, um den Unterschied der Befindlichkeit des Ich zum Wahnsinn, zur Verrücktheit zu zeigen.

Dabei habe ich mich auf den Zustand vor dem Schweben bezogen, den man aus dem Bild nur erschliessen kann. Auf den naturalistischen Aspekt des Leidens.

bare bulb on, newspaper-covered walls, and mary rising up above it all

oder die oben zitierte Fassung.

Das ist - ich kann nicht sagen - das neue Kreuz. Es ist im Grunde das alte. Die Darstellung entspricht in etwa Kreuzesdarstellungen mit einem gekrönten Christus. Es gibt ja auch Kreuze, die ganz natruralistisch nur das Leiden des Menschen in Christus betonen.

Einer bekommt das Leiden der ganzen Welt aufgebürdet. --- oder der Kleinstadt.

Ich kann das mit der Erlösung jetzt nicht aufdröseln. Man müsste auch mal wieder Literatur heranziehen. Aber das ist auch der Schlüssel zu

Given To Fly

He floated back down 'cause he wanted to share
His key to the locks on the chains he saw everywhere
But first he was stripped and then he was stabbed
By faceless men, well, fuckers
He still stands

Scheinbar wird ein Verrückter, ein Wahnsinniger mit Hallzinationen festgesetzt, man jagt ihm eine Injektionsnadel rein - oder er wird durchbohrt wie Christus am Kreuz.

And he still gives his love, he just gives it away
The love he receives is the love that is saved

Ist nur auf der Folie des Erlösungskonzeptes zu verstehen.  Ich würde das in keiner Weise als gotteslästerlich oder blasphemisch einordnen. Es geht wirklich um Erlösung. War ja auch Thema von Tremor Christ.

Dieser Humanismus, von dem ich oben gesprochen habe, hat schon ganz schön christliche Züge. Protestantische Einflüsse? Aber da müsste man mit einem Theologen sprechen.

Das Thema taucht in mehreren dieser Texten auf.  

Das Bild der schwebenden Mary entspricht in etwa dem Symbol Kreuz.

Nur mal so zum Nachdenken.

so long

H.

Gast


Hajü

  • Gast
Antwort #38 am: 19. März 2004 um 02:20
Wenn der Spaziergänger in Black in seinem Leiden die Welt als den Abgrund des Absurden erfährt, bekommt er ja auch alles Leid und Elend der Welt auf die Schultern gepackt.

Er findet zumindest seine Erlösung in ---- ach das habe ich schon gesagt. Müsste man wirklich mal systematisch untersuchen. Wäre ein Thema. ;) ...
H.

Gast


Offline Mindcrime

  • Moderator
  • vaf | (in)Habit(ant)
  • *****
    • Beiträge: 5.862
    • Geschlecht:Männlich
  • Too old to rock, too stoned to stop!
Antwort #39 am: 19. März 2004 um 09:05
Hallo :D

Ich glaube, ich bin fast durch

H.

Gast

Das dachte ich eigentlich auch...  ;) Soviel gibt es für mich auch garnicht mehr zu sagen...

...ein Füllhorn voller Lob: Ich finde es wieder mal ehrlich bewundernswert, was du aus "Black" herausgezogen hast. Wir sind auch dieses Mal nicht so weit auseinander, aber du interpretierst in höheren Sphären, als es mir gelingt. Dadurch haben sich für mich noch einige zusätzliche Perspektiven eröffnet. Chapeau!

"Bitter hands lay on broken glass" hatte ich beispielsweise unterschlagen, weil es mir nicht einleuchten wollte. Als "Chiffre für Loslassen" bzw. "Scherbenhaufen der Realität" hervorragend gedeutet! Oder der Aspekt der monoistischen Weltsicht (in Bezug auf "tatooed") - sehr gut! Sogar die "Todessehnsucht" kann ich dieses Mal aufgrund deiner Argumentation gerade noch so durchgehen lassen.  ;D

Kurz, deine Posts, die auf meinen letzten folgten, kann ich alle unterschreiben!

Geradezu fantastisch war dein Satz "Jedes ein Gesamtkunstwerk mit Garagensound-Understatement"! Ich bin sicher, so hat noch niemand die Musik von Pearl Jam umschrieben!
Schön auch deine Definition von Kunst: "...der Welt selbst muss, soll durch Kunst wieder ein Sinn zurückgegeben werden. Das ist das Programm des ehrgeizigen und klugen Dichters dieser Songs", und weiter unten: "An einigen Stellen liefern die sogar Lebenshilfe, wollen die scheinbar was bewirken, konkret was verändern". Ich glaube, daß das viele Mitglieder dieses Forums (mich eingeschlossen) exakt genauso sehen.

Was Pearl Jam angeht: Tatsächlich hatte die Band (insbesondere Eddie) in den ersten Jahren immense Schwierigkeiten im Umgang mit ihrem Status/Ruhm. Heutzutage gehen sie sehr viel gelassener damit um. Sie haben aber zu keiner Zeit ihre "Antennen" verloren (im Gegenteil) und das ist es, was Pearl Jam für uns alle hier (auch in vielerlei anderer Hinsicht) zu etwas so Besonderem macht!

Schönen Urlaub!  ;D

P.S.: Unter welchen ISBN-Nummern sind eigentlich deine Bücher zu finden?  8)
vaf-Tipp-Meister 2004, 2016 / Sieger vaf-Kicktippliga 2005, 2006 / ConfedCup-Sieger 2005 / vaf-Pokalsieger 2012



Hajü

  • Gast
Antwort #40 am: 21. März 2004 um 17:06
Chapeau! @mindcrime. Du bist ein Guter. :D Deine Rückmeldung hat mir gutgetan – und Deine Interpretation hat mir Beine gemacht.

Danke also. Wenn das hier noch weitergeht, würde ich gerne wieder auf Dich hoffen dürfen. Das verzögert sich hier alles noch, und so will ich noch einen Nachtrag zu der Interpretation machen. Übrigens möchte ich hier nicht das letzte Wort haben.


1. Kein Wort und kein Teil sind überflüssig in so einem Text, - so geht man notgedrungen bei so einer Art der Interpretation heran. Hatte ich oben gesagt.

„as the earth to the sun” konnte ich allerdings erst nicht richtig einordnen. Ich habe das oben als so eine Art Verzierung gedeutet, mit der Parallelität zum ersten Vergleich hergestellt werden sollte und „Majestät“ der ersten Metapher betont werden sollte. Widerspricht dann meiner späteren Deutung als Konzept des „schönen Lebens“.  Allerdings ist dieser Vergleich, der beim Vortrag nicht sehr betont wird, doch recht wichtig. Er stellt fest, dass es einen „echten“ Kosmos mit einer wirklichen Erde und Sonne gibt – und stellt dezidiert heraus, dass „all five horizones revolved around the sun“ ein Bild ist.

Wenn dann später im Song die Stelle „how quick the sun can drop away“ kommt, ist dieser Vergleich oben der Beweis dafür, dass diese Sonne nicht die Geliebte ist. Denn sonst würde er ihr Ende wünschen, hatte ich geschrieben. Ich hatte auch frei übersetzt, die Sonne herunterschlagen.

Mit diesem Vergleich und diesem Ausschlussverfahren werden also alle Gewalttätigkeit und aller Umschlag von Liebe in Hass negiert. („Kreuzersonate“). An so etwas denkt das Ich, der Spaziergänger also garnicht. Damit werden auch alle gewalttätigen Rezipienten ausgeschlossen, die den Partner mit sich herunterreissen möchten. Ich erkläre das noch. Das ist die Funktion des Erde/Sonne Vergleichs. Loslassen hiess es.

2. Was ich jetzt versuche, gelingt vielleicht nicht. Ich habe keine Lust zurzeit, meine Nase in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zu stecken. Oder in Nietzsche-Schriften. Vielleicht kann man das auch anders anfangen. Jedenfalls einen Teilaspekt des Problems erläutern.

Wie entfaltet so ein Song seine Wirkung. Sicherlich nicht durch die dürren Worte einer solchen Interpretation. Sicherlich kann man da auch Faszinierendes finden. Aber ich glaube nicht, dass viele Menschen sich gerne mit Problemen von „Avantgardelyrikern“ herumschlagen. Das ist eher abschreckend.

Meist versteht man ja noch nicht mal den Text – und so ein Song packt einen. Das ist natürlich die Musik, der Vortrag, die das transportieren. An der Stelle müsste ich einfügen, dass, wer sich in diese Songs einmal eingehört hat, einschliesslich der Texte natürlich, dem erscheinen viele Musikstücke, die vorher das Non Plus Ultra waren, plötzlich ziemlich schlicht und …eigentlich schlecht. Ein Nachteil dieser Musik? Die Messlatte liegt hoch.

Gehen wir mal von dem Punkt aus, ab dem wir den Text, den Inhalt verstehen – und dass uns das anrührt.
Dann setzt so eine Art Projektionsverfahren ein, in dem wir den Text mit unseren Erfahrungen und Fragen füllen. Das Gerippe wird mit Fleisch und Leben gefüllt. Verstehen.

Nur ein Beipiel: „all the pictures have all been washed in black”  - nebenbei werden in bestimmten Trauerriten Bilder schwarz verhangen.
Aber dies kennt jeder: Wenn man traurig ist, oder wenn man trauert um den Verlust eines Lieben, wirkt sich das auf die Wahrnehmung aus. Oder auch andersherum. … Wenn wir glücklich sind. Die Aussenwelt widerpiegelt unsere Emotionen. Das genau Passende wird selektiert. Alles erscheint trist – oder fröhlich und harmonisch. Betrifft auch das sog. Sozialverhalten. Hier ist die Voraussetzung allerdings, dass die Welt im Kern absurd ist. Das enthüllt sich. (Ich glaube noch Freud geht doch letztlich davon aus – in seinen kulturpessimistischen Schriften zumindest wird das deutlich.)
Oder vom Thema des Songs her: Natürlich können wir uns alle vorstellen, wie das ist, zurückgewiesen zu werden, verlassen zu werden, wenn wir am stärksten in Flammen stehen. Die Leidenschaft wird möglicherweise umso grösser. Es ist ein ganzes Spektrum an Reaktionen und Handlungen denkbar. Mit diesen – teils unterschiedlichen Erfahrungen klinken wir uns in so einen Text, Lied ein.

Der Spaziergänger – mit dem wir vielleicht kurz gehofft hatten – wird aber so zum Objekt unseres Mitleides. Das ist ein Aspekt des Schopenhauerschen Mitleid-Begriffs. Es handelt sich dabei also eher um einen Erkenntnisvorgang, der etwas Hermeneutisches hat. Er hat auch Gemeinsamkeiten mit Identifikation.

Dies Mitleid hat nichts damit zu tun, dass reiche Witwen oder Frauen von Pfeffersäcken Strümpfe für die Armen stricken. Obwohl der Pietismus beides hervorgebracht haben wird.  
Es hat nichts zu tun mit einer bestimmten Art von Entwicklungshilfe, die die armen Länder noch weiter in die Unselbständigkeit stürzt, damit man weiter die billigen Rohstoffe bekommen kann. Es geht nicht um das Verbrähmen eigener Interessen. Man sieht auch, wie unselbständig ein Behinderter wirklich ist, wieviel Hilfe er wirklich braucht. Das ist die Fragestellung jedenfalls. Dann bekommt er Unterstützung und wird nicht noch gedemütigt. Aus dem Sumpf muss man das Wort erst mal herausziehen. Mitleid überwindet auch die Fremdheit.
Es hat auch nichts mit diesem Betroffenheitsphänomen zu tun, das in der ökologisch pazifistischen Scene grassierte. Findet sich heute verstärkt in diesen Life-Style Magazinen wieder.
Es ist ein (monistischer) Erkenntnisvorgang in der Form, Einblick zu haben in die Vorgänge im Inneren von Mitmenschen. Eine Art Anteilnahme.

Diese Anteilnahme könnte Handeln erschweren. Die Naivität fehlt, ist verloren gegangen. Andererseits wird Handeln bewusster, bezieht die Konsequenzen mit ein. Ein Weg zur Verantwortung.

Die beste Erklärung, Demonstration des Erlösungskonzeptes durch Mitleid liefert der „Parzifal“ von Wagner. Hatte ich glaube ich schon erwähnt. Nietzsche hat sich über diese Art der heiligen Messe, die Nationaltheater werden sollte, gespottet. Der erste Akt zeigt, was der reine Tor ist, der zweite erklärt – führt das Erkennen, Wissend werden durch Mitleid vor. Hier wird schon Kundri erlöst. Fetzig wie Rockmusik – teilweise. „Nein, lass ihn unenthüllt“ so begint eines der für mich bessten Musikstücke überhaupt, das obendrein die ganze Oper in sich widerpiegelt.

Ich hatte darauf hingewiesen, dass bei Pearl Jam Erlösung eine Rolle spielt. Zumindest in einigen der Songs. Auch der Mitleidsbegriff wird zu finden sein. Mercy heisst es in „Crazy Mary“.

Also – ich gehe davon aus, dass es nicht nur dieses Projekt gibt, der Welt durch Kunst den Sinn zurückgeben, sondern im engeren Sinne liegt auch so ein Erlösungskonzept vor. Ich habe oben gesagt, dass der Spaziergänger in „Black“ unser Mitleid im Sinne Schopenhauers anspricht.Das Leiden des Spaziergängers soll uns nicht betroffen machen. Aber wir können schon unsere Fragen und Erfahrungen darin unterbringen. Dann lebt der Text für uns. Hier gibt es auch die vielen Deutungsmöglichkeiten, von denen ihr gesprochen habt. Allerdings die Grenze liegt bei den Gewalttätigen, die ihrer Liebe schaden wollen. Die sind hier nicht zugelassen.

Schauen wir lieber nach anderen Texten – in 14 Tagen. So geht es wohl doch nicht.

4. Wenn die über ihrem Milieu schwebende Mary eine Art Kreuzesdarstellung ist, dann stellt „Given To Fly“ in seinem zweiten Teil die Kreuzigung dar.
Der Surfer auf dem Meer in Tremor Christ und auch der Spaziergänger haben auch etwas von diesen „Ecce Homo“ Darstellungen. Dies „Ecce Homo“ zeigt sich am deutlichsten in der distanzierten Darstellung von „Given To Fly“.
Ich hatte gesagt, dass das nicht blasphemisch gemeint sei. Es könnte aber sein, dass dies das herkömmliche Kreuz dagegen in bestimmten Kontexten ist.
Sozialkritik ist überhaupt nicht ausgeschlossen – Vergl. „Crazy Mary“.

Noch mals Danke @mindcrime
Zerpflückt das ruhig – das ist „halbgar“. ;D  Allerdings das halte ich für wichtig: Die ihrer Liebe Schaden wollen, die sind ausgeschlossen in „Black“.

So long

H.

Gast


Offline Mindcrime

  • Moderator
  • vaf | (in)Habit(ant)
  • *****
    • Beiträge: 5.862
    • Geschlecht:Männlich
  • Too old to rock, too stoned to stop!
Antwort #41 am: 22. März 2004 um 09:33
Danke also. Wenn das hier noch weitergeht, würde ich gerne wieder auf Dich hoffen dürfen. Das verzögert sich hier alles noch, und so will ich noch einen Nachtrag zu der Interpretation machen. Übrigens möchte ich hier nicht das letzte Wort haben.

Naja, wer das letzte Wort hat oder nicht, ist im Grunde egal, denn wichtiger ist doch, daß sich die (in diesem Fall unser beider) Worte zu einem sinnvollen Ganzen ergänzen, oder?!  ;)  

Soweit es meine Zeit erlaubt, werde ich dir auch weiterhin gerne Beine machen!  :)



vaf-Tipp-Meister 2004, 2016 / Sieger vaf-Kicktippliga 2005, 2006 / ConfedCup-Sieger 2005 / vaf-Pokalsieger 2012



Offline Mindcrime

  • Moderator
  • vaf | (in)Habit(ant)
  • *****
    • Beiträge: 5.862
    • Geschlecht:Männlich
  • Too old to rock, too stoned to stop!
Antwort #42 am: 07. April 2004 um 19:58
@Hajü:

Noch ein kleiner Nachtrag:

Bei vielen Live-Performances von "Black" singt (nein, schreit vielmehr) Eddie am Ende des Songs "We belong together".

Sagt uns das noch irgendwas?  ;)
vaf-Tipp-Meister 2004, 2016 / Sieger vaf-Kicktippliga 2005, 2006 / ConfedCup-Sieger 2005 / vaf-Pokalsieger 2012



psalm_69

  • Gast
Antwort #43 am: 02. Februar 2005 um 23:15
wenn ich das hier lese verstehe ich garnix mehr !!#
ich dachte immer ich sei pearl jam fan,aber ihr seid dagegen ja krank ( im guten sinne gemeint)
respekt an euch alle °!!!!!°


Offline benharper

  • vaf | (In) Thin Air
  • ****
    • Beiträge: 424
    • Geschlecht:Männlich
  • Lookin' for a leader,...
Antwort #44 am: 30. Juni 2005 um 13:23
 :o :o :o :o
Überteiben??????????????????????????????????????

Ich hab ja gewusst das man in alles viel interpretieren kann, aber das übertrifft meine Vorstellungen! @Hajü
Zum Mindi muss ich sagen: Danke das du es wesentlich kürzergefasst hast und ich auch was davon verstanden habe! ;)

Meine Meinung dazu...

Wenn ich mich mal deiner Version anschließe möchte ich einfach mal sagen: "BLACK"! Ich mein man sollte doch bei solchen Sachen auch an den gesamt Titel denken und vielleicht is das auch schon die Antwort des gesamten Textes. ???
In der ersten Strophe wird uns berichtet das ,wie ihr es bezeichnet lyrische Ich/Künstler/... ,von jemand/etwas verlassen wurden ist, oder etwas verloren hat was ihn sehr sehr viel bedeutet hat und er/es mit diesem Verlust nicht leben kann und alles für ihn kaputt geht und er/es nur noch die "Schwarzen" Seiten des lebens sieht.
Und dann geht er spazieren und sieht wie sich alle freuen, indem Fall die Kinder und er kann damit eigentlich überhaupt nicht umgehen und versteht es nicht so recht.Er/es zieht sich immer weiter in sein kleines Schneckenhaus zurück und verfällt immer mehr seinen Depressionen. ( eine gute Erklärung hierfür wäre jedenfall die Unplugged Version in der Eddie mit einer unglaublichen Gefühlslage diese Strophe singt, Gänsehaut )
Zum Ende hin schließlich und da bin ich mir nicht sicher was er meint, versteht er/es was er/es getan hat, nämlich tod geliebt, und gibt seinen Schmerz frei und wünscht ihr alles Gute und hofft für sie das es ihr gut geht, lenkt dann schnell wieder ein ( why can it be mine ) und um ihr die Liebe zu gestehen sagt er noch zusammenfassend "WE BELONG TOGETHER TOGETHER" ,aber daskann sie schon nicht mehr hören, weil sie vielleicht auch gestorben sein könnte oder er nur einen herben verlust hat hinnehemen müssen, wobei mir die ander Variante besser gefällt! ;D Das Sterben aufjedenfall würde auch das Black erklären!

In jedem Fall das wohl für mich schönste Liebeslied was von einer Band aus diesem Genre je geschrieben wurde!Und viell sogar mein Lieblingslied von PEARL JAM, weil es einen immer wieder mitreisen tut!  :'( 
..."the woman in you, is the worrie in me..."