Konzerte heute und früher.
Besser kann man es nicht sagen
Konzerte im Wandel der Zeit : Abschied vom guten, alten Feuerzeug
Kultur, 26.01.2010, Thomas Richter
Essen. „Was ist bloß passiert?“ werden diejenigen mit Wehmut fragen, die sich noch heute am liebsten in den vordersten Stehreihen vor der Bühne aufhalten – und das schon vor 20 Jahren taten.
Der erste eklatante Unterschied ist der kontrollierte Zuschauer-Zustrom. Früher bildeten tausende Menschen im Innenraum eine ungebändigte, hochenergetische Masse. Wenn sie bei den Takten des ersten Stückes erst einmal in Bewegung kam und nach vorn in Richtung der Bühne drängte, dann konnte es dort schon mal eng werden.
In den schlimmsten Fällen kamen bei Auftritten der Toten Hosen (1997) und der US-Rockband Pearl Jam (2000 in Roskilde) dabei Menschen ums Leben, die unter dem Druck der nachdrängenden Massen stürzten.
Um das zu verhindern, sind heute von breitschultrigen Ordnern bewachte Stahlbarrikaden aufgestellt. Diese teilen die Masse in Bereiche auf und bremsen so die Wellen, bevor sie bis nach vorne schwappen – aus Sicherheitsgründen eine sinnvolle Veränderung.
Amerikanische Verhältnisse
Eine andere ist das Verhalten der Zuhörerschaft selbst. Wo sich früher das deutsche Publikum dadurch weltweit bei Bands einen Namen machte, dass es ausgelassen und heftig auf die Songs reagierte, herrschen inzwischen zunehmend „amerikanische Verhältnisse“. Während eines Songs wird aufmerksam, aber auch äußerlich teilnahmslos gelauscht. Erst am Ende des Stückes folgt enthusiastischer Applaus. Aber eine Interaktion zwischen Künstler und Fan findet fast nur noch auf Aufforderung statt. Wo früher gesprungen, geschwitzt, getobt wurde, regiert heute braves Hin- und Herschwenken der Arme. Viele Konzerte haben daher ihre ganzkörperliche Faszination verloren.
Die schlimmste Neuerung aber bleibt die Dokumentierungswut. Fast jeder Zuschauer zückt heute während des Auftritts seine Digital-Kamera oder sein Foto-Handy, um Bilder aus nächster Nähe digital festzuhalten. Immer mehr junge Zuhörer verwenden ihre ganze Konzentration darauf, diesen Moment für die Nachwelt festzuhalten, statt ihn selbst zu genießen.
Das Display des mobilen Telefons hat zudem das gute, alte Feuerzeug als Gemütlichkeits-Lichtquelle bei Balladen abgelöst. Schön schimmernde, aber kalte neue Konzertwelt…
Quelle:
http://www.derwesten.de/kultur/Abschied-vom-guten-alten-Feuerzeug-id2442021.html