Also, ich komme darauf, weil im Thread "Bester Soundtrack" über den Film gesprochen wurde. Ich finde den Roman: Anthony Burgess, Uhrwerk Orange (OT A Clockwork Orange OA 1962 DE 1972 Form Roman Epoche Moderne) einfach unheimlich stark. So viele Aspekte gibt es darin, die vom Film - auch wenn er von Kubrick ist
- einfach nicht zu toppen sind. Eigentlich ist es so, dass diese gewalttätigen, herumlungernden "Verbrecher", zu denen der Ich-Erzähler gehört, die positiven Helden des Buches sind. Die negative Utopie einer völlig verrotteten Welt klingt am Rande der Erzählung des Alex an. In diesem Punkt könnte der Roman prophetisch sein. Ich kann das jetzt nicht genau soziologisch beschreiben. Ist vielleicht auch hier nicht nötig. Aber da ist das Thema der Sprache. Hier wird eine Art Jugendsprache, der Slang einer Ingroup der (nahen?) Zukunft vorgeführt.
Seid nicht böse, wenn ich jetzt so lang zitiere. Ich mach das auch so bald nicht wieder. Eigentlich muss man sich erst einlesen: Hier kommt der Held nach dem ersten im Buch dargestellten Tag"Werk" nach Hause. Die klassische Musik - Thema Soundtrack - spielt im weiteren Verlauf des Romans noch eine wichtige Rolle. Das Buch ist, soweit ich weiss, vor kurzem wieder neu aufgelegt worden? Wirklich zu empfehlen.
Im folgenden: eine tolle Darstellung und Beschreibung von Musik:
Was die Gewaltdarstellung, die Gewaltphantasien anbetrifft, geht es da nicht um billige Effekte und Kitzel, denn die haben durchaus ihre wichtige Funktion in der Darstellung dieser (Roman)Welt.
"Also trennten wir uns und gingen unserer Wege, ich
immer arrrgh arrrgh und hick hick von dem kalten Coke,
das ich gepitscht hatte. Ich hatte meine Halsabschneider-
Britva zur Hand, falls einer von Billyboys Droogs in der
Nähe des Wohnblocks lauern sollte, oder, was das anging,
jemand von den anderen Bandas oder Gruppas oder
Schaikas, die von Zeit zu Zeit mit einem im Krieg waren.
Ich wohnte mit Dadda und Emme im städtischen Wohnblock
18a, zwischen Kingsley Avenue und Wilsonsway,
und ich kam ohne Ärger zum großen Vordereingang,
obwohl ich an einem jungen Malitschick vorbeikam, der
schreiend und stöhnend im Rinnstein lag, ganz schön
zerschnitten, und im Lampenschein hier und dort auch
Blutstreifen sah, wie Unterschriften von den nächtlichen
Spielen, meine Brüder. Direkt neben 18a sah ich auch die
Hosen einer Dewotschka, ohne Zweifel in der Hitze des
Augenblicks grob runtergerissen und in den Dreck getrampelt,
o meine Brüder. Und so rein. Im Hausflur war
das gute alte städtische Wandgemälde - sehr gut entwikkelte
Vecks und Titsas, ernst in der Würde der Arbeit an
Werkbank und Maschine, aber ohne einen Faden Zeug an
ihren wohlgebauten Plottis. Natürlich hatten einige von
den Malitschicks, die in 18a wohnten, besagte Wandmalerei
mit Kugel- und Filzschreiber verschönert und ausgestaltet
und Haare und steife Schwänze und Sprechblase
mit schmutzigen Slovos hinzugefügt, die aus den würdevollen
Mündern dieser nagoi (das heißt nackten) Vecks
und Dewtoschkas quollen. Ich ging zum Aufzug, aber es
hatte keinen Sinn, den elektrischen Knopka zu drücken
und zu sehen, ob er funktionierte oder nicht, denn
jemand hatte ihn diese Nacht horroschaumäßig getollschockt,
die Metalltüren waren ganz verbogen, eine seltene
Kraftleistung in der Tat, und so mußte ich die zehn
Treppen steigen. Ich fluchte und schnaufte, denn mein
Plotti war schwer und müde, obwohl mein Gehirn nichts
davon spürte. Ich wollte noch Musik hören. Vielleicht
hatte diese singende Dewotschka in der Korova mich auf
den Geschmack gebracht, jedenfalls wollte ich an diesem
Abend noch ein Ohrenfest, bevor ich meinen Paß gestempelt
kriegte, meine Brüder, an der Grenze des Schlafs, und
der gestreifte Schlagbaum sich hob, um mich durchzulassen.
Ich öffnete die Tür zur Wohnung 10/8 mit meinem
eigenen kleinen Klutsch, und im Inneren unseres malenki
Quartiers war alles still, denn die alten Pe und Em waren
längst im Traumland, und Emme hatte mein malenki
bißchen Abendessen für mich auf den Tisch gestellt - ein
paar Scheiben Dosenwurst und einen Batzen Käse, ein
paar Stücke Kleb, Butter und ein Glas von der alten kalten
Moloko. Hohoho, die alte Moloko, ohne Messer der
Synthemesk oder Drencrom drin. Wie pervers, meine
Brüder, mußte unschuldige Milch mir jetzt immer vorkommen.
Doch ich aß und trank knurrend, weil ich
hungriger war, als ich zuerst gedacht hatte, und als ich
fertig war, holte ich mir noch einen halben Obstkuchen
aus dem Küchenschrank und riß Stücke davon, um sie in
meine gierige Labbe zu stopfen. Dann putzte ich meine
Zubis und ging in mein eigenes kleines Zimmer, wobei
ich mich aus den Platties schälte. Hier waren mein Bett
und mein Stereo, der Stolz meines Lebens, und meine
Platten in ihrem Schrank, und Wimpel und Banner an der
Wand, so was wie Erinnerungen an die verschiedenen
Besserungsanstalten, wo ich seit meinem elften Jahr zur
Schule gegangen war.
Die kleinen Lautsprecher meiner Stereoanlage waren
kunstvoll über den Raum verteilt, an der Decke, den
Wänden und sogar am Boden, und wenn ich auf meinem
Bett lag und die Musik sluschte, war ich mitten im
Orchester, eingehüllt in das Netzwerk von Tönen und
Klängen. Nun, was ich mir heute zuerst einbildete, das
war dieses neue Violinkonzert von Geoffrey Plautus,
gespielt von Odysseus Chorilos und den Philharmonikern
von Macon (Georgia), also nahm ich die Platte aus
dem Schrank, wo sie säuberlich eingeordnet war, legte sie
auf und wartete.
Dann, meine Brüder, kam es. Oh, Seligkeit und Himmel.
Ich lag ganz nagoi auf dem Bett, die Hände hinter
meinem Gulliver auf dem Kissen, die Glotzies geschlossen
und sluschte dem Strom der lieblichen Klänge. Oh, es
war gestaltgewordene Pracht und Herrlichkeit. Die Posaunen
dröhnten rotgolden unter meinem Bett, und hinter
meinem Gulliver flammten die Trompeten in silbernem
Feuer, und dort bei der Tür rollten die Pauken wie
ferner Donner und vibrierten in meinen Kischkas. Oh, es
war das Wunder der Wunder. Und dann, wie ein Vogel
aus himmlischem Metall gesponnen, unwirklich und
schwerelos, kam das Violinsolo über all den anderen
Streichinstrumenten, und diese Streicher webten einen
seidenen Käfig um mein Bett. Der weiche, runde Ton der
Oboen erhob sich in einem melancholischen Seitenthema,
während die Solovioline ihre einsamen Kantilenen
sang. Ich war in der höchsten Seligkeit, meine Brüder. Pe
und Em in ihrem Schlafzimmer nebenan hatten inzwischen
gelernt, nicht an die Wand zu klopfen und sich über
das zu beschweren, was sie Lärm nannten. Jetzt würden
sie Schlafpillen nehmen. Vielleicht hatten sie sie bereits
genommen, denn sie wußten, welche Freude ich an
meiner Nachtmusik hatte. Während ich sluschte, meine
Glotzies geschlossen, um die Wonne festzuhalten und
auszukosten, die besser war als jeder Synthemesk- oder
Drencrom-Trip, sah ich die schönsten Bilder. Da waren
Vecks und Titsas, molodoi und stari, und lagen auf dem
Boden und kreischten um Gnade, und ich smeckte von
einem Ohr zum anderen und drehte meinen Stiefel in
ihren Litsos. Und da waren Dewotschkas mit runtergerissenen
Platties und kreischten an Wänden, und ich stieß
wie ein Schlaga in sie rein, und als die Musik, die nur
einen Satz hatte, sich zur Spitze ihres großen höchsten
Turms erhob, da war ich vor Seligkeit so weg, daß ich mit
den Beinen strampelte und »Aaaaah« schrie, ohne die
Glotzies aufzumachen. Und so glitt die wunderbare Musik
ihrem leuchtenden Schluß zu.
Danach hatte ich den herrlichen Mozart, die Jupitersinfonie,
und es gab neue Bilder von verschiedenen Litsos,
die zu ertrampeln und zu zermatschen waren, und als
auch diese Musik verklungen war, dachte ich, daß ich nur
noch eine letzte Platte hören würde, bevor ich über die
Grenze ginge, und ich wollte was Altes und sehr Festes
und so legte ich J. S. Bach auf, das Brandenburgische
Konzert Nummer drei nur für Streicher. Und als ich dies
sluschte, mit einer anderen Art von Seligkeit als zuvor,
sah ich wieder diesen Namen auf dem Papier, das ich an
diesem Abend rizrazzt hatte, es schien lange her zu sein,
als ich bei diesem Schreiberveck auf dem flachen Land
gewesen war. Der Name hatte was mit einer Uhrwerkorange
zu tun gehabt, oder so ähnlich. Und wie ich nun
dem J. S. Bach zuhörte, begann ich besser zu kapieren,
was das bedeutete, und ich dachte, während ich mich von
der strengen Großartigkeit dieses stari Meisters mitnehmen
ließ, daß ich die zwei dort draußen gern noch härter
getollschockt und auf ihrem eigenen Boden in Streifen
gerissen hätte." (=Ende von Kap. 3)
H.
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