Was unsere Familie anbetrifft war das eher so, dass meine Mutter - mit mir als Kind natürlich immer vorne in der Kirche war - mein Vater stand immer hinten - ganz weit hinten. Obwohl ich von ihm ein echt ungläubiges Wort eigentlich nie gehört habe. Aber zum Sonntag gehörte das einfach dazu - zur Kirche zu gehen. Als kleines Kind hab ich das als Pflicht erlebt, Sonntags in die Kirche zu gehen. Messdiener war ich auch.
Inzwischen ist das anders. Wie gesagt. Aber diese Sonntage hatten auch was für sich. Das gute Essen, die Tanten, die immer kamen, als mein Vater sein erstes Auto bekam fuhren wir immer zum Essen.... Hatte viel mehr Struktur....
Übrigens gab es in der Gemeinde auch eine ziemlich starken katholischen Arbeiterverein.
Bei der Kirche gab es sogar eine Bücherei. Liborius-Bücherei hiess das glaube ich. Mit einem ehrenamtlichen Bibliothekar. Als ich anfing zu lesen, hab ich mir jeden Sonntag da Bücher ausgeliehen. Natürlich wurde man da bevormundet - ein bisschen, aber auch beraten. Da hab ich das Lesen entdeckt.
Als wir Jugendliche waren.... Durch den erwähnten Vikar und eine informelle Runde (bei schwarzen Zigarren) in seiner Wohnung wurde eine Zeitung ins Leben gerufen. Von der gibt es über mehrere Jahre eingentlich nur vier? Ausgaben. Und jede Menge Flugblätter. Jeden Samstag war Redaktionssitzung.
Eigentlich war das ein astreines Projekt. Die Zeitung wurde zunächst auf Hochglanzpapier gedruckt, die anderen Ausgaben als Offsett-Druck herausgebracht. Und musste sich über Anzeigen und Verkauf selbst finanzieren. Also war im Grunde die ganze Palette an Tätigkeiten, die auch ne normale Zeitung hat, angesagt.
Mit dem Vikar haben wir übrigens damals die Redaktion der Ruhrnachrichten mal besichtigen können, wo er mal gejobt hatte. Er fuhr auch wegen der künstlerischen Interessen einiger von uns auch mal zu einem Künstler, der als Bildhauer Kirchen gestaltete... Er hat auch mal einen befreundeten Redakteur einer Wochenzeitung zu uns zum Referat eingeladen. Das war schon was....
Die Zeit war einfach genial. Mit Feten, ersten Lieben, Clique. Alle, die dabei waren, sind von der Zeit zutiefst (ich übertreibe wohl nicht) geprägt worden. Viele von denen haben später noch mal umgesattelt, beruflich, mit Studium usw. Inzwischen sind sie in alle Winde zerstreut. Als einer von denen im vorigen Sommer aus dem Leben schied, traf sich alles wieder. Obwohl ich eigentlich Klasssentreffen meide, da musste ich hin. Inzwischen hatte ich alle schon lange nicht mehr gesehen. Beim ersten Blick durchs Fenster von draussen dachte ich, in den falschen Raum zu blicken. Aber dann waren doch alle wiederzuerkennen.
Aus Berlin und Norddeutschland - mehrere natürlich aus H. Einer der als jüngerer Bruder von V. später dazu kam, ist inzwischen wohl wegen einer Frau und einer anderen Frau? in Brasilien. Als Professor. Der arbeitete im Studium bei einer münsteraner Studentenzeitung....
Einer von denen hatte damals schon schriftstellerische Ambitionen. Der spielt inzwischen leidenschaftlich auf einer Freilichtbühne Theater. (Schilerjahr...) Der hielt ne Rede. Ich erblasste fast vor Neid, als darin Zeilen seiner Tochter vorkamen, die sich zu 1968 äusserte. "Warum man 1968 nicht vergessen darf...) Seine Frau erzählte, Vater und in Münster studierende Tochter würden manchmal zusammen ein paar Weinflaschen köpfen. Na ja, die ist auch älter. Fotos von prächtigen, gelungenen Kindern (ehrlich!!!) wurden gezückt - na ja, das muss wohl so sein. Auf jeden Fall trifft man sich jetzt wieder regelmässig. Jetzt steht das Treffen mit meinem Freund O. an, den ich aus Kindergarten und Sandkasten schon kenne. Seine geschiedene R. organisiert das. Mit denen aus Paderborn...
Damals entwickelte diese Gruppe ne Menge Eigendynamik, war sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht, liess sich von Pastor und hinterher auch dem Vikar nicht mehr hereinreden. Revolte. So endete das damals mit Dissonanzen. Teilweise auch im Fiasko. Das war auch der Anfang davon, dass ich weniger aktiv wurde.
Der Vikar wurde damals nach Paderborn komplimentiert, wo er rechte oder linke Hand von Degenhardt wurde. Inzwischen ist er leider an einer tückischen Erkrankung verstorben. Einige aus der Gruppe hielten immer engen freundschaftlichen Kontakt mit ihm.
Natürlich glaube ich auch an Gott - wohl ähnlich wie Du, @mindcrime. Jedenfalls ist mir die Beschränktheit der menschlichen Sinneswahrnehmung klar.
Und hier enden die Möglichkeiten wissenschaftlicher Beweise. Das ist auch notwendig und gut so.
Und von dem strafenden Gott halte ich auch nicht viel. Obwohl ich zum Teil natürlich damit aufgewachsen bin. Das erinnert mich an einen astreinen Religiions- und Philosophielehrer, den wir zur selben Zeit hatten. Der sagte bei der Besprechung der Enzyclica des Paul VI - "Humanae Vitae" - das sexuelle Unterdrückung und Schuldgefühle zu den Herrschaftstechniken der Kirche gehören würden. Schuldkomplexe treiben die Menschen immer wieder in die Beichte - und es entsteht eine Abhängigkeit... Das kann es doch nicht sein - oder? Ich denke, dass die Kirche ohne sowas auskommen kann. Auskommen muss. Später, als ich schon studierte, bin ich mit meinen Eltern ab und zu in den kleinen Wallfahrtsort Werl gefahren. An eine Predigt eines älteren Mönchleins kann ich mich noch ganz gut erinnern. Der malte die Welt als Ort von Krankheit, Leid, Tod, als Jammertal, als Ort, der nur seine Berechtigung für gute Werke und Prüfungen für den Menschen hat. Ich stand mit meinem Vater hinten. Vor uns standen zwei - es müssen Theologiestudenten gewesen sein - die schon vorher immer sagen konnten, was jetzt als nächstes dran kam. Sie würzten diesen Vortrag für uns mit abgrundtiefem Spott.
Meine Mutter war später dann in einem Verein in der Kirche. Die machten auch Basare, Fahrten usw. Es gab auch schon mal Intrigen.... Wie das Leben eben so spielt.
Kirche und Leben der Gemeinde. Ich bin nicht ganz sicher, ob bei den Bautätigkeiten inzwischen auch ein Jugendzentrum entstanden ist. Glaube ich allerdings nicht. Damals gab es nur Messdiener und später auch die Pfadfinder... also im Grunde Vereine mit Dachorganisation. Inzwischen gibt es wohl einen Diakon, der auch Jugendarbeit macht und junge Familien betreut.
Manche Kirchen hatten damals Jugendheime der teiloffenen Tür. Diese allerdings nicht. Die Zeitung war ein "Verein" ohne Dachorganisation, also auch in der HInsicht schon was "Neues". Ein Heim der teiloffenen Tür hab ich damals an der evangelischen Kirche im Norden von H. kennengelernt, wegen einer Frau...
Noch mal zu evangelischem Gottesdienst: Predigten, die ähnlich wie die erwähnte Werler Predigt nur aus Versatzstücken zu bestehen scheinen, hab ich hier in der evangelischen Kirche zu Weihnachten auch schon gehört. Dieser typisch protestantische Predigtduktus, dem niemand mehre zuhört, und lauter Vanitas-Gesänge, das mag den Erwartungen entsprechen, tut niemandem weh, mag kathartische Wirkung haben. (Inzwischen hat diese Gemeinde aber einen neuen sehr fitten Pastor.) Aber jetzt hab ich die Gottesdienste in der Kirche entdeckt, die zur Einrichtung gehören. Vor Kurzem wurde die Hochzeit zu Kanaan gefeiert: Da wurde sogar gebastelt - Schals mit Kartoffeldruck bedruckt. Und eine Musikgruppe übte zur gleichen Zeit nen Song ein. Das war richtig schön... Ging wohl über mehrere Sonntage... Bei einem Sterbefall vor kurzem eine Andacht, mit einem Meer von Teelichtern. Jeder, der von den Bewohnern wollte, konnte das Bild der Verstorbenen in die Hand nehmen und was dazu sagen. Der Pastor hat nur für die Struktur der Sache gesorgt. Ja, mehr adressatenbezogen muss es zugehen in der Kirche....
H.