@Hajü:
So, da bin ich wieder...
In der Zwischenzeit hast du ja hier fleißig weitergepostet. Das muß ich mir mal in Ruhe reinziehen, überfordert mich um diese Uhrzeit aber ob der Masse etwas. Kommt später...
Erstmal will ich meine Gedanken zu deiner "Crazy Mary"-Interpretation loswerden...
Ich glaube, wir liegen mit unseren Interpretationen garnicht soooo weit auseinander, auch wenn du mit Mary`s Tod ein gänzlich anderes Ende siehst. Aber nicht nur von daher war dein Beitrag auch für mich sehr instruktiv!
Sehr schön finde ich zum Beispiel deine Metapher, daß der Erzähler in seinem Traum "Mary wie eine Sonne über dem Horizont aufgehen sieht".
Bleiben wir doch zunächst beim Thema Tod. Sicher ist auch das eine mögliche Interpretation, die du ja auch ausreichend belegst (mit der ich mich aber rotzdem nicht so recht anfreunden will). Du schreibst, daß Mary "nur als Tote aus der Kleinstadt herauskommt" und sie "echt erst im Tod frei und undeterminiert ist", weil es selbst in der Verrücktheit keine Freiheit gibt, nur im Tode. Ebenso, daß nach Mary`s Tod der Erzähler die Kleinstadt wohl verlassen wird.
Erste Frage: Warum sollte gerade Mary`s Tod der Auslöser dafür sein, daß der Erzähler die Stadt verläßt? Nach deiner Interpretation, weil "die Traumsequenz zeigt, daß er soweit ist". Für mich bleibt ein Traum aber eben ein Traum (und keine Einsicht) und ist deshalb in meinen Augen kein Beleg. Es wird im Text nicht klar, ob er es schafft, die Stadt zu verlassen, sicher scheint nur, daß er es sich wünscht. Du schreibst, daß "der Refrain am Schluß absolut erdrückend" wirkt, wie "eine Moral von der Geschichte klingt". Unterstreicht das nicht die Hypothese, daß der Erzähler nicht aus der Kleinstadt herauskommt? Weiter schreibst du, "wenn er es erzählen kann, hat er es schon getan" (also sich befreit). Das glaube ich nicht, denn nur wenn man über etwas redet, heißt das nicht, daß man es gleichzeitig auch verändert. Oder habe ich dich da missverstanden?
Trotzdem ist dieser Aspekt der Freiheit durch Tod interessant. Sehr guter Gedanke von dir, daß Mary in ihrer Verrücktheit die einzig Freie in dieser Stadt ist. Absolut d`accord, weil sie sich als einzige keinen kleinbürgerlichen Konventionen beugen muss. Aber ist dieses Bild der absoluten Freiheit nur im Tod nicht etwas überspitzt? Kann es denn im Leben keine absolute Freiheit geben? Oder anders gefragt, kann es im Leben überhaupt absolute Freiheit geben, oder bleibt letztlich sowieso immer nur der Tod als letztes Mittel übrig, wenn man frei von allem sein will? Müsste man mal drüber nachdenken, führt aber hier wohl zu weit...
Und die Frage ist tatsächlich, wie du in diesem Zusammenhang "mercy backed outside her windowsill" unterbringst!? Ich denke wie Lucky auch eher an Gnade. Ist der Tod demnach eine Gnade für Mary? Dann wäre das Ganze ja garnicht so pessimistisch wie du glaubst, sondern eher tröstlich!?
Du hast das Auto erwähnt, das gleich dreimal im Text verwendet wird. Nebenbei gesagt, glaube ich nicht, daß "Mary eine Leidenschaft für das Autofahren hat". IMO will sie schlicht und einfach nur in die Stadt mitgenommen werden (vielleicht ist der Fussweg zu weit oder sie hat kein Geld für einen Bus?). Aber, und da hast du Recht (auch das ein neuer Gedanke für mich), sie bestimmt, wann und wann nicht das geschieht (durch "but her hands flew from her side").
Kommen wir auf das Auto zurück, seine 3 Erwähnungen. Ich sehe es so: Zum ersten dient das Auto der Kontaktaufnahme (Trampen), zum zweiten der Auflehnung (Autorennen) und zum dritten der Erlösung/Begnadigung (Mary verschwindet damit). Bei dir deutet letzteres eher auf Zerstörung hin (rast ins Haus). Das kann man in alle möglichen Richtungen deuten. Vielleicht eine Art "roter Faden" für die zeitliche Abfolge, die im Song beschrieben wird? Mir fällt im Augenblick kein schlüssiger Zusammenhang ein, vielleicht dir!? Frage, die sich daran für mich anschließt, nachdem du schreibst "Der Text hier stellt die Kleinstadtrennen weder als Rebellentum, noch als wehmütige Angelegenheit dar". Als was sonst?
Aber "American Graffiti" ist ein klasse Film, da stimme ich dir ohne Widerrede zu!
Kompliment auch für deine Deutung von "drink it down"! Die Herumlungernden spülen ihren Kummer herunter. Aber es geht ja noch weiter: "pass it around". Heißt das, auch der Kummer wird herum- bzw. weitergereicht? So wie in einer Art Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt? Genauso wenig wie aus dem tristen Leben in dieser Kleinstadt?
Zum Schluss noch eine kleine Nuss....
Ausgehend von dir ("Der Weg führt direkt in die Säuferszene...Nicht auszuschliessen, daß so ein Auto in das Haus der Mary raste") bestimme ich einfach mal Alkohol und Drogen zum zentralen Thema des Songs. Auch der Löffelverbieger hat an "Last Kiss" denken müssen. Ist "Crazy Mary" vielleicht am Ende ein Anti-Alk-und-andere-Drogen-Song?
Mary bleibt dabei die Verrückte (wobei sie sich vielleicht um den Verstand gesoffen haben könnte). Alle Leute in der Stadt ertränken ihre Sorgen und Perspektivlosigkeit vor dem kleinen Laden im Alkohol. Vielleicht auch die Mutter unseres Erzählers? Vielleicht nimmt sie Mary nur deswegen manchmal nicht mit, weil sie betrunken Auto fährt und davon zittrige Hände hat?
Ist es Zufall, daß "that old blue car we used to race" blau ist? Vielleicht ein Synonym für`s "blau sein" (betrunken also)?
"One night thunder cracked, mercy backed outside her windowsill": Auch hier läßt der Text Spielraum für eine Deutung in Richtung von Drogen. Der Erzähler ist auf dem Trip (wird die Droge "Crack" nicht auch "gebacken"?). Er hat eine Vision (den Traum), sieht Mary in ihrem Haus und wie sie über allem (also auch über ihm) steht. Eifersucht und Neid überkommen ihn (was deinem durchaus schlüssigen Liberalitätsgedanken widersprechen würde) und im Drogenrausch beschließt er sie zu töten odergleichsam zu "begnadigen" (vielleicht auch nur im übertragenen Sinne, indem er das wenige zerstört, das sie besitzt), indem er mit dem Auto in ihr Haus rast. Erst am anderen Tag (und wieder nüchtern) erkennt er, was er angerichtet hat ("that what you fear the most, could meet you halfway") und ist erschüttert darüber. Doch da ist es zu spät! Oder ein Unfall? Eine von zahllosen anderen Trunkenheitsfahrten, doch dieses Mal mit tragischem Ausgang? Etwas, wovor er schon immer Angst hatte und was ihn nun eingeholt hat?
Wahrscheinlich etwas weit hergeholt und auch unausgegoren, ging mir aber beim Lesen deines Beitrages auch mal durch den Kopf.
Wie dem auch sei, ich glaube, damit, daß du dich in die Interpretation von "Crazy Mary" "eingemischt" hast, sind einige neue Aspekte aufgetaucht. Und das ist gut! Fertig wird man mit einer solchen Interpretation aber wohl nie... Außer wir fragen Eddie, was denn nun wirklich dahintersteckt!